Diversität in visueller Kommunikation

Online-Stammtisch Wissenschaftskommunikation, Thema: Diversität in visueller Kommunikation
Published On: 20. Juli 2023By

Wie gelingt diversitätssensible visuelle (Wissenschafts-)Kommunikation in der Praxis? Darüber haben wir bei unserem Stammtisch Wissenschaftskommunikation #HHSWK mit Anne Vogt diskutiert. Sie ist Kreativ Direktorin bei Mann beißt Hund und zertifizierte Social-Justice-Trainerin.

GIFs, Memes, Reels, Fotos – in der Kommunikation spielen visuelle Medien aller Art eine wichtige Rolle. Aus der Wissenschaftskommunikation sind Infografiken oder Erklärvideos nicht wegzudenken. Idealerweise helfen sie dabei, komplexe Inhalte verständlich zu transportieren. Es besteht jedoch auch die Gefahr, dass vereinfachte Darstellungen den komplexen Sachverhalten nicht gerecht werden oder Menschen durch stereotype Darstellungen diskriminiert werden. Der Fokus des Stammtisches lag daher auf der Sensibilisierung und der Identifizierung von Handlungsmöglichkeiten für eine diversitätssensiblere visuelle Kommunikation.

Zu sehen ist ein großer gedeckter U-förmiger Tisch, mit weißer Tischdecke an dem rund 30 Männer mittleren Alters bei einem Business-Lunch zusammensitzen - unter ihnen keine einzige Frau.

Dieses Foto sorgte für Empörung: Im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz 2022 tagten die Chefs von Wirtschaftsunternehmen. Unter ihnen befand sich keine einzige Frau. Bild: dpa

Wir haben die zehn wichtigsten Learnings des Abends zusammengefasst.

1. Design ist WEIRD

Das Akronym WEIRD steht für western (westlich), educated (gebildet), industrialized (industrialisiert), rich (wohlhabend, reich) und democratic (demokratisch). Geprägt wurde der Begriff von Senongo Akpem in seinem Buch „Cross-Cultural Design“. Zahlreiche Beispiele, darunter die eurozentrische Weltkarte oder Rassismus in der Fototechnik, belegen, wie sehr wir WEIRD-geprägt sind – und es häufig gar nicht merken. Sich dieser selektiven Sehgewohnheiten bewusst zu werden ist schon ein wichtiger Schritt in Richtung diversitätssensibler Kommunikation.

2. Wer gehört zum Team?

Ein weiterer Schritt auf dem Weg zu diversitätssensibler visueller Kommunikation ist die Reflexion der Teamzusammenstellung. Es ist wahrscheinlicher, dass vielfältige Teams neue Ideen und Perspektiven einbringen, die die visuelle Kommunikation inklusiver machen. Daher lohnt es sich, schon bei der Teamzusammenstellung auf Diversität zu achten und so ein weiteres Blickfeld zu eröffnen.

3. An Diversity-Trainings teilnehmen

Alle Menschen in einem Team repräsentieren? Das ist wohl kaum möglich. Helfen können hier Diversity-Trainings. Sie schärfen die Sinne, um Schubladendenken zu vermeiden und Perspektivwechsel zu erleichtern. In einem geschützten Rahmen können Teilnehmende eigene Erfahrungen in die Diskussionen einbringen, ihre Einstellungen kritisch hinterfragen und mehr Sicherheit im Umgang mit diversitätssensibler Kommunikation erreichen. Zahlreiche Anbieter bieten Sensibilisierungstrainings an. Zum Beispiel bei der Berliner Bildung- und Beratungsorganisation „Eine Welt der Vielfalt e. V.“ oder dem österreichischen Bildungsanbieter „Diversity Campus“.

4. Gekonnte Vereinfachung vs. plumpe Stereotypisierung

Bilder verkürzen Zusammenhänge häufig, da viele Themen schwierig in ihrer Komplexität abzubilden sind. So nutzen journalistische Artikel zum Thema KI oftmals generische Bilder, die mal einen Roboter, einen abstrakten Code oder einen am Laptop arbeitenden Menschen zeigen. Keines der Bilder umfasst dabei in Gänze das Thema KI. Problematisch ist es, wenn generische Bilder von Stockfoto-Plattformen rassistische oder andere Stereotype reproduzieren. Zum Beispiel, indem bestimmte Menschengruppen immer wieder in den gleichen Lebenssituationen dargestellt werden. (Um Fehler nicht zu reproduzieren, verzichten wir an dieser Stelle auf Beispiele.) Wer das vermeiden möchte, sollte hinterfragen: In welchem Kontext stelle ich Menschen dar, welche Stereotype bediene ich damit und welche alternativen Darstellungsmöglichkeiten bieten sich mir?

Zu sehen ist ein Versuchsaufbau: Granatapfelkerne werden mithilfe eines Teelichts in einem mit Wasser gefüllten Kolben erhitzt. Über Schläuche ist das Granatapfel-Wassergemisch mit einem Schwamm verbunden. Aus diesem wächst eine rosa Blume.

Welche Symbole wählen wir, um Weiblichkeit zu symbolisieren? Frauen in der Wirtschaft – symbolisiert durch einen chemischen Versuchsaufbau mit Schwamm, Blume und Granatapfelkerne. Das Bild ist zwar ästhetisch, reproduziert aber auch ein klischeehaftes Frauenbild, das wenig mit dem Berufsalltag der meisten Frauen zu tun hat.

5. KI lernt Diskriminierung

Auch in der visuellen Kommunikation gewinnt Künstliche Intelligenz (KI) immer mehr an Bedeutung: Programme wie Midjourney ermöglichen es, in kurzer Zeit KI-Kunst zu erschaffen. Doch auch Künstliche Intelligenz lernt Diskriminierung, und Nutzende reproduzieren diese, wenn sie KI-generierte Bilder unreflektiert verwenden. Erfahrungsberichte beschreiben diskriminierende Inhalte, die durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz entstanden sind. So generiert KI bei neutralen Suchaufträgen hauptsächlich Abbildungen weißer Männer. Auch Menschen mit Behinderungen werden teilweise ausgeschlossen und kommen in KI-generierten Bildern kaum vor. Erste Organisationen haben sich gegründet, die auf die Missstände aufmerksam machen.

6. Fachstellen zu Rate ziehen

Nicht immer ist es uns bewusst, wie bestimmte Darstellungen in einem anderen kulturellen Kontext wahrgenommen werden. Um Darstellungen zu vermeiden, die in bestimmten Kulturen unangemessen oder beleidigend sein könnten, stehen Fachstellen zur Verfügung, die sensibilisieren und beraten.

7. Authentizität und Einbeziehung

Durch das direkte Arbeiten mit verschiedenen Zielgruppen kann sichergestellt werden, dass die visuellen Darstellungen ihre Erfahrungen, Bedürfnisse und Perspektiven widerspiegeln. Es lohnt sich, genügend Raum für verschiedene Stimmen und Geschichten einzuplanen. Es gilt jedoch zu bedenken: Einzelpersonen sprechen nicht zwangsläufig für eine Gruppe. Auch mit Co-Creation können unterschiedliche Sichtweisen miteinander verknüpft werden. Dabei bringt jede*r Designer*in seine/ihre eigenen Erfahrungen ein, und es entstehen inklusive Produkte.

Das Bild zeigt eine aufgeschlagene Broschüre. Eineinhalb Seiten sind mit Fotos gefüllt. Sie zeigen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und unterschiedlichen Alters bei verschiedenen Arbeiten an einem Flughafen.

Für die Broschüre „SoMo Wissen“ haben wir Menschen in ihren tatsächlichen Arbeitskontexten dargestellt. Authentizität ist ein wichtiger Baustein, um glaubwürdig zu kommunizieren.

8. Barrierearmut beachten

Wer diversitätssensibel kommunizieren möchte, muss sicherstellen, dass die visuellen Darstellungen auch für Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten zugänglich sind. Ausreichend Kontrast, große Schriftgrößen und klare Grafiken verbessern die Lesbarkeit für alle Rezipient*innen. Bilder sollten auch in Textform für sehbehinderte Personen beschrieben werden.

9. Transparenz herstellen, Haltung zeigen!

Wer ein Problem erkannt hat – beispielsweise, dass auf einem Foto nur Männer zu sehen sind – sollte dies auch intern thematisieren. Denn eine klare Haltung jedes und jeder Einzelnen stärkt das Bewusstsein für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Öffentlichkeit.

10. Kleine Schritte gehen: Strukturelle Probleme kann man nicht in kurzer Zeit verändern

Nach diesen Learnings folgt nun ein kleiner Dämpfer: In jeder grafischen Herausforderung diversitätsgerecht und barrierefrei zu kommunizieren und dabei alle gesellschaftlichen Gruppen zu repräsentieren und mitzunehmen, wird uns in den allermeisten Fällen nicht gelingen. Trotzdem sollten wir unser Bestes geben, um möglichst barrierearm und diversitätssensibel zu gestalten, Menschen mit einzubeziehen und offen zu kommunizieren. Strukturelle Hürden wie Sexismus und Rassismus lassen sich nicht von jetzt auf gleich beseitigen. Stattdessen gilt es kleine Schritte zu machen und die sich stets ändernden gesellschaftlichen Diskurse im Blick zu behalten.

Fazit:

Grafische Darstellungen bergen das Risiko, Stereotype zu reproduzieren und Barrieren für manche gesellschaftliche Gruppen zu festigen. Wir können aber einiges tun, um visuell möglichst vielfältig und barrierearm zu kommunizieren. Reflexion, Sensibilisierung, Austausch mit Betroffenen und Transparenz helfen auf diesem Weg. Dabei geht es nicht darum, gleich alles perfekt zu machen. Auch kleine Schritte führen zum Ziel.

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